
Studienkopf
Jener alte legendarisch-poetische Glanz, mit dem für die
Phantasie des Publikums, - und keineswegs nur des deutschen – während der
dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts die
Düsseldorfer Malerschule
umstrahlt wurde, war während der folgenden Jahrzehnte mehr und mehr verblaßt.
Schon zu Anfang der vierziger Jahre trat die Reaktion gegen den
überschwenglichen Enthusiasmus ein, welchen die Werke der jungen Meister
dieser rheinischen Schule eine Zeitlang erregt hatten. Immer schärfere Kritik
wurde an ihnen geübt. Die Vergleichung mit den Schöpfungen der gleichzeitigen
französischen und belgischen Malerei, wozu dem deutschen Publikum damals erst
Gelegenheit geboten wurde, fiel meist zu Ungunsten jener Düsseldorfer aus. Der
glänzende Aufschwung der Münchener Malerschule, in der die Kartonzeichner
durch die Koloristen und die Virtuosen der Technik abgelöst worden waren, wie
der Berliner, in der endlich der größeste und früheste Vertreter des Realismus
in der Malerei,
Adolf Menzel, sich zu der ihm gebührenden beherrschenden
Stellung durch- und emporgerungen hatte, half dann für längere Zeit die
Düsseldorfer mehr und mehr in den Schatten zu stellen. Von den Meistern, die
einst ihren größten Stolz und Ruhm gebildet hatten, waren die einen aus dem
Leben geschieden, andere, wie Lessing und Schrödter,
Bendemann, Hübner, waren
dem Rufe nach anderen deutschen Kunststätten gefolgt. Fast nur die eine alte
Säule,
Andreas Achenbach, zeugte, - und zeugt noch heute – von der
verschwundenen Pracht des Altdüsseldorf der dreißiger Jahre; neben ihm halfen
sein jüngerer Bruder, Oswald, dessen schönes Talent sich erst um die Mitte des
Jahrhunderts entfaltete, und der originelle Meister religiöser Kunst von
Gebhardt den Ruf der rheinischen Kunststadt und –Schule erhalten. Der Größeste,
der aus jener Schule hervorgegangen war,
Alfred Rethel, blieb, da sein
wichtigstes Lebenswerk ein Zyklus von monumentalen Wandgemälden in Aachen
war, der großen kunstfreundlichen Menge im inneren Deutschland als Maler so
gut wie unbekannt. Nur seine 1848, 1849 und 1850 viel verbreiteten, durch
Faksimile-Holzschnitt vervielfältigten, tiefsinnigen, kraft- und
charaktervollen Totentanzzeichnungen ließen auch hier in weiten Kreisen doch
eine Ahnung der hohen künstlerischen Bedeutung ihres Erfinders und Zeichners
aufgehen.
So war immer dafür gesorgt, daß die rheinische
Malerstadt, wenn sie auch viel von jenem poetisch- romantischen Nimbus
eingebüßt hatte, mit dem sie in der ersten Jugendzeit der Schule umwoben war,
- als der Sitz ausgezeichneter Meister respektiert werden mußte, welche gegen
die in den anderen deutschen Kunststädten wirkenden, - abgesehen von wenigen
alles überragenden Größen, - nicht zurückstanden. – Bekanntlich kehrte eine
der Berühmtheiten und Mitbegründer der romantischen Altdüsseldorfer Schule,
Bendemann, der 1838 deren Sitz verlassen hatte, als er das Direktorat der
Kunstakademie zu Dresden übernahm, nach einundzwanzigjähriger Abwesenheit
wieder zur Heimat seines Ruhmes, nach Düsseldorf, zurück, wohin er 1859 als
Direktor der dortigen Kunstschule berufen wurde. Er war nun zwar seinem ganzen
Naturell und künstlerischem Wesen nach nicht der Mann, der befruchtend und
neues frisches Leben erweckend, zu wirken vermocht hätte. Aber dennoch ist aus
seiner Schule der Künstler hervorgegangen, der heute diese Stelle einnimmt,
die Düsseldorfer Akademie leitet und der durch die Größe seines Genies und
sein mächtiges Schaffen ihr erneuten Ruhm erworben, durch die Kraft des
Beispiels und der Lehre eine Schar von neuen Talenten herausgebildet hat, die
durch ihre eigenen Schöpfungen die besten Beweise für diese hohe Begabung
ihres Lehrers geben.

Dieser Meister und gegenwärtige Direktor der
Kunstakademie zu Düsseldorf ist Professor Peter Johann Theodor Janssen.
Wir lernten den damals etwa Dreißigjährigen in Berlin in
der ersten Hälfte der siebziger Jahre kennen, als er in Gesellschaft seines
Meisters, dessen Sohnes Rudolf und zweier anderer Düsseldorfer Genossen, Fr.
Röber und W. Beckmann, an der malerischen Ausschmückung der Corneliussäle in
dem damals vollendeten Gebäude der Nationalgalerie arbeitete. Ihm waren der
selbständige Entwurf und die Ausführung der Gemälde in den Bogenfenstern der
Wände unter der Decke des zweiten Saales übertragen, in welchem die
Kollosalbüste Peters von Cornelius’ und dessen Kartons für die Wandmalereien
in der Glypthotek ihre Aufstellung erhalten sollten. Die Prometheusmythe war
ihm als Stoff und Gegenstand gegeben. Außerdem sollte er die Schmalwand, in
welche die Nische für jene Büste vertieft ist, mit allegorischen Gemälden
schmücken, welche die Hauptgestalten des hellenischen Epos im Zusammenhange
mit der Idee der Läuterung durch die Tragödie versinnlichen. Der Erscheinung
des Künstlers, der uns da als Herr Maler Janssen aus Düsseldorf vorgestellt
wurde, schienen uns die, in den Linien und der Formengebung ideal schönen, den
gegebenen Flächenräumen glücklich angepaßten, geschickt und geschmackvoll
hineinkomponierten, in den Farben aber zart matt und gedämpft gehaltenen
Gemälde, mit denen er jene Bogenfelder dekorierte, wenig zu entsprechen. In
seinem vollbärtigen Antlitz, seiner kraftvollen elastischen Gestalt, seinen
raschen Bewegungen drückte sich so viel feurige Männlichkeit, Temperament und
Energie aus, daß man viel eher Bilder von überschäumender Lebendigkeit und
Farbenglut, als diese kühl gestimmten, Bendemanns künstlerischer Art
verwandten Darstellungen von ihm erwartet hätte. Aber man mußte sich sagen,
daß jede andere Art der Lösung dieser Aufgabe der Bestimmung der Bilder, wie
der zahmen, kühlen, dünnen
Strackschen Architektur und den farblosen, grauen
riesigen Kartons, mit denen die unteren Wandflächen sich bedecken sollten,
wenig entsprechend gewesen sein würde. Wenn Janssen die hier von ihm
angewendeten künstlerischen Ausdrucksformen gewählt hatte, so war das nicht
aus etwaiger Unfähigkeit, andere zu beherrschen, geschehen, sondern in
Erwägung der vorliegenden Bedingungen und mit deren Berücksichtigung. Daß
Janssen, wo er nicht durch solche Rücksichten gebunden war, zeichnerisch und
koloristisch ganz anders ins Zeug zu gehen vermöge, hatte er in seinen, vor
diesen Malereien ausgeführten Arbeiten bereits wiederholt zur Genüge bewiesen.
Blicken wir zurück auf seinen Entwicklungsgang. Am 12.
Dezember 1844 war er zu Düsseldorf geboren als der Sohn eines ausgezeichneten
Kupferstechers, unter dessen Stichen besonders der nach
Hasenclevers „Examen
des Kandidaten Jobs“ seiner Zeit einen großen allgemeinen Erfolg geerntet
hatte. Die ungewöhnliche Begabung des Sohnes hat sich bereits in zartester
Jugend zweifellos bekundet. Der Vater suchte die Entwickelung des glücklichen
Talents nach besten Kräften und durch die geeignetsten Mittel zu fördern. Von
ihm empfing der Knabe den ersten und zwar einen sehr tüchtigen, zweckgemäßen
Unterricht, durch den indes bis zu Peters fünfzehnten Jahr der Schulbesuch
keine Einschränkung erfahren durfte. Dann kam der zum Malerberuf bestimmte
Knabe in die Lehrklassen der Düsseldorfer Akademie, über die damals noch
Schadow sein strenges Regiment führte.
Carl Müller, der Heiligenmaler, wurde dort Janssens
erster Lehrer. Er sowohl, als Bendemann, Schadows Nachfolger im Direktorat,
und Carl Sohn, der seinen Unterricht in der Malklasse leitete, waren aber im
Grunde wenig dazu geeignet, eine künstlerische Individualität, wie die dieses
jungen Rheinländers, richtig zu erkennen, zu würdigen und auf den ihr gemäßen
Weg zu führen. Aber immerhin dankt Janssen besonders Bendemann die strenge
zeichnerische Schulung und die Gewöhnung zur äußersten Gewissenhaftigkeit bei
der ganzen Durchführung, die ihm bei seinem ganzen späteren Kunstschaffen zum
besten Heil gereicht haben. Wenn er sich unter den Meistern seiner Zeit einen
Helden hätte wählen sollen, „dem er die Wege zum Olymp hinauf sich
nacharbeite“, so wäre es
Alfred Rethel gewesen. Mit der ernsten Macht und
Größe von dessen Schöpfungen verglichen, dünkte ihm das Werk der anderen
ziemlich schwächlich und klein.
In den Jahren zwischen 1865 und 1869 führte er, noch
unter den beaufsichtigenden Augen Bendemanns und durch diesen beraten und
kritisiert, sein erstes, in der Vollendung eben dadurch vielfach verzögertes
Bild aus:
„Die Verleugnung Petri“.

Die Verleugnung Petri
Es blieb auf der großen Ausstellung zu
München nicht unbeachtet und lenkte die Aufmerksamkeit auf das neue
vielverheißende Talent. Sehr bald danach schon bot sich ihm die Gelegenheit ,
von seiner außerordentlichen Begabung noch ganz andere hochbedeutende Proben
abzulegen durch Kunstwerke, in denen seine eigenste künstlerische
Persönlichkeit zum vollen Ausdruck gelangte. Seitens der Stadt Krefeld war
eine Einladung an die deutschen Maler ergangen, in einem Wettbewerb um den
Auftrag zur Ausmalung des dortigen Rathauses mit Bildern aus der städtischen
Geschichte einzutreten und Skizzen dazu einzusenden. Janssen beteiligte sich
an dieser Konkurrenz. Aber er erlaubte sich, von dem Programm gänzlich
abzuweichen und, statt der Krefelder Stadtgeschichte, den alten
Freiheitskämpfen der Germanen gegen ihre römischen Unterdrücker seine Stoffe
zu entnehmen. Diese Janssenschen Skizzen waren indes zu bedeutend und
eindrucksvoll, um einfach über sie hinweg zur Tagesordnung zu schreiten. Es
wurde eine neue engere Konkurrenz ausgeschrieben, bei der die Wahl der
Gegenstände der Darstellungen dem eigenen Ermessen der aufgeforderten Künstler
anheim gestellt blieb.
Aus diesem Wettkampf ging Janssen unbestritten als
Sieger hervor.

Der zurückweichende Varus
Die neuen Entwürfe und den zugleich mit diesen
eingelieferten Karton zu dem einen der Bilder – der Hermannschlacht – hatte er
während eines Aufenthalts in München ausgeführt, wo damals die vielgepriesene
Pilotyschule in voller Blüte stand. Von einer Beeinflussung durch deren
Meister aber blieb Janssen völlig frei. Früher als andere und ungeblendet
durch dessen von aller Welt enthusiastisch bewunderte, glänzende, aber
äußerliche Eigenschaften, durchschaute er die Hohlheit, das Gemachte und
Theatermäßige dieser Pilotyschen Geschichtsmalerei. Von dem von ihm als
richtig erkannten Wege lies er sich durch deren Beispiel nicht ableiten. Schon
damals, wie während seiner ganzen ferneren Laufbahn war Janssens Streben
darauf gerichtet, den natürlichen menschlich wahren Ausdruck der Empfindungen
und Leidenschaften statt des theatralischen seinen Gestalten zu verleihen, die
schlichte Größe nicht durch Betonung zerstreuender Äußerlichkeiten zu
schädigen; durch unablässiges strenges Naturstudium und Naturbeobachtung
suchte er den Schöpfungen der Phantasie im Bilde den Schein des wahrhaftigen
Lebens zu verleihen. Der mächtigen erfinderischen und gestaltungskräftigen
Phantasie sind bei ihm – in einem, bei deutschen Malern der jener Zeit
vorangegangenen Epoche ganz ungewöhnlichem Maße – der glückliche starke und
feine Koloritsinn und die malerisch-technische Geschicklichkeit und
Anstelligkeit gesellt. Das zeigte sich schon überzeugend in jenen Wandgemälden
im
Krefelder Rathause.
Sie, wie alles, was Janssen seitdem geschaffen hat, sind
nicht, wie bei
Cornelius und
Kaulbach, als Zeichnungen, als graue Kohle- oder
Bleistiftkartons gedacht und erst nachträglich „koloriert“, sondern von ihm
als farbiges Ganze in der vollen Tonstimmung und somit in voller Lebendigkeit
schon in der Phantasie angeschaut.

Der siegreich vordringende Herrmann
Von den vier großen Rathausbildern schilderte das erste
die
Hermannschlacht, eine Komposition voll feurigen Lebens, welche durch die
Thür in der betreffenden Wand in zwei Hälften zerlegt wird. Das folgende den
Triumph des Germanicus, an dessen Seite Thusnelda, ihren in der Gefangenschaft
geborenen Knaben Thumelicus auf dem Arm, zwischen mit Ketten belasteten
besiegten Germanen an dem Hochsitz ihres verräterischen Vaters, des
Römerfreundes Segestes, vorüber schreitet. Das vierte Wandbild malt in
ergreifenden mächtigen Zügen die Totenfeier des Arminius. Diese Wandgemälde
wurden in den Jahren 1871 bis 1873 von Janssen ausgeführt, und ersichtlich hat
die gewaltige Erregung der deutschen Volksseele durch den Krieg und Sieg von
1870-1871 auch auf den, an den Geschicken des Vaterlandes leidenschaftlichen
Anteil nehmenden Künstler mächtig eingewirkt; aus solcher gesteigerten
Stimmung heraus sind jene Gemälde erzeugt, welche germanische Befreiungskämpfe
gegen fremde Gewalt und die Tragödie germanischer Fürsten- und
Stammeszwietracht so packend und mit so großer, echt malerischer Bildwirkung
schildern.

Totenfeier Herrmanns
Mit diesem Werk hatte Janssen seinen Ruf als einer der
ersten lebenden deutschen Geschichts- und Monumentalmaler begründet. Noch
während der Arbeit daran erhielt er einen neuen bedeutenden Auftrag von
beiderlei Art: den großen Saal des Börsengebäudes zu Bremen mit einem
geschichtlichen Wandgemälde zu schmücken. In dem Wettbewerb mit
Arthur Fitger
war er Sieger geblieben. Als Gegenstand wählte er die
Besiedelung der
Ostseeländer durch die Hanse im deutschen Mittelalter. Hier galt es keine
dramatisch zugespitzten geschichtlichen Einzelvorgang zuschildern, sondern
eine sich während längerer
Zeiträume vollziehende Reihe von Handlungen und die durch
sie bewirkte Entwickelung und Umwandelung von Zuständen in einem Bilde
zusammengefaßt zur Darstellung zu bringen. Auch diese Aufgabe hat der Künstler
sehr geschickt und befriedigend zu lösen verstanden. Durch die scharf
herausgearbeiteten charakteristischen Gegensätze und Rassenverschiedenheiten
in der Erscheinung der niederdeutschen Kolonisatoren und der slawischen
Bewohner jener Ostseelande kommt in die Komposition eine Mannigfaltigkeit der
Menschentypen, die von glücklichster Wirkung für das Ganze ist. Es gereicht
jenem Raum zum ebenso malerisch-schönen und fesselnden wie ernsten und
bedeutsamen Schmuck.
In einem, im Jahr 1875 von Janssen ausgeführten großen
Ölgemälde betätigte er noch entschiedener als in jenem Bremer Wandbild seine
große realistische Kraft der Schilderung, der lebendigen Veranschaulichung
auch von Menschen und Vorgängen aus weitentlegenen, längst vergangenen Zeiten.
Das Bild stellte das Gebet der Schweizer Hirten und Bauern vor der
Schlacht
von Sempach dar. Ein stärkerer Kontrast als der, in dem sich die darin
bekundende Auffassung und Wiedergabe einer geschichtlichen Szene zu der bei
den Meistern der älteren Düsseldorfer Schule gewöhnten steht, läßt sich kaum
denken. Die Wucht und Macht der Charakteristik in diesen herben, „waldursprünglichen“,
zum Kampf mit einem furchtbaren Feinde auf Tod und Leben entschlossenen
Männer- und Jünglingsgestalten, deren fromme Gläubigkeit sich so echt und
wahrhaftig, so tief erregt und ohne eine Spur von romantischer
Gefühlsweichheit äußert, ist ganz außerordentlich.

Gebet der Schweizer vor der Schlacht bei Sempach
Damals, im Jahre 1875, war es, daß Janssen von der
Staatsregierung den Auftrag zur Ausführung jener Wandbogengemälde im zweiten
Corneliussaal des neuen Nationalgaleriegebäudes erhielt, deren Motive, wie
bereits oben erwähnt ist, der Prometheussage entlehnt werden sollten. Zehn
solcher Bogenfelder an den Langseiten und je eine Wandfläche auf jeder der
beiden Schmalseiten hatte er mit Gemälden, jene mit halblebensgroßen, diese
mit lebensgroßen Gestalten, zu schmücken. Die technische Ausführung sollte in
matten Wachsfarben nach Andreas Müllers Rezept geschehen, wovon von vornherein
das Anstreben stärkerer farbiger Wirkungen ausgeschlossen war, wie es sich
durch die Architektur und die Bestimmung des Raumes von selbst verbot. Die so
entstandenen Gemälde beweisen ebenso die Vielseitigkeit der Begabung und des
Könnens ihres Urhebers, als seine Kraft der Selbstbeherrschung und jener
„Beschränkung“, in der sich nach Goethes berühmten Spruch ja erst der Meister
zeigen soll. Aber diese Kompositionen beweisen auch eine ganz ungewöhnliche
Fähigkeit der poetisch-malerischen Erfindung, die ihm den gegebenen Stoff eine
so große Fülle von Bildmotiven abgewinnen ließ. So malte er in die
Bogenfelder oben über der Langwand zur Rechten Themis, ihrem Sohn Prometheus
den einstigen Sturz des Zeus prophezeihend; Prometheus am Kampf der Götter
gegen die Titanen teilnehmend; Prometheus Menschen formend, die durch Pallas
beseelt werden; Prometheus entflieht mit dem dem Zeus geraubten himmlischen
Feuer; er lehrt, in dessen Besitz, die Menschen Künste und Handwerke. Daran
schließt sich dann an der Giebelwand der südlichen Schmalseite das große Bild
des an den Kaukasus gefesselten Prometheus, dessen Schicksal von den
mildherzígen, dem Meeere enttauchenden Okeanostöchtern beklagt wird. Sie
umgeben, um ihn zu trösten, den Felsen, auf dem er angeschmiedet liegt,
titantrotzig dem Adler entgegenblickend, der heranschwebt, um an ihm die Rache
des Zeus zu vollziehen. Okeanos und der Berggott des Kaukasus, in den
Giebelecken lagernd, schließen zu beiden Seiten die Komposition, die reichste
und schönste von allen, ab. Auf der angrenzenden Wand setzt sich die
Bilderreihe fort: das nächste zeigt den Prometheussohn Epimetheus in den Armen
der geliebten Pandora, während diese das verhängnisvolle Gefäß öffnet, dem die
darin eingeschlossen gewesenen Dämonen des Unheils und Verderbens entsteigen.
Es folgt das Bild einer wild bewegten Szene, welche den Verlauf der mythischen
Prometheus-Tragödie seltsam unterbricht: mitsamt den ihn bemuítleidend und
kalgend umgebenden Okeaniden wird er durch den Zorn des Zeus in den Tartaros
hinabgestürzt. Aber das ist nur ein vorübergehendes Internmezzo, eine
eingeschobene Episode. Denn das nächste Bild zeigt die befreiende That des
Herakles, dessen Pfeil den an des Gefangenen Leber fressenden Adler erlegt.
Seiner Fesseln wird Prometheus durch seinen Erlöser und seine Mutter Themis
entledigt, und der edle Kentaur Chiron erbietet sich, um Zeus zu versöhnen,
statt des Befreiten in den Hades hinab zu steigen. – Das Bild der Aufnahme des
entsühnten Prometheus in den Kreis der seligen Olympier schließt hier – nahe
der Nischenwand – die Reihe. Die beiden Felder zu den Seiten der letzteren,
in welcher die vergoldete Kolossalbüste des Cornelius ihre Aufstellung
gefunden hat, schmückte Janssen dann noch mit den allegorischen Gemälden: der
Verkörperung der Ilias mit Thetis, welche die Waffen des Achill trägt, hinter
ihr dieser und Patroklos; der Gestalt der Odyssee mit Odysseus und Penelope.
Beide Gruppen scheinen aufwärts , dem im Scheitel der Giebelwand dargestellten
, gewaltigen Gott Eros, dem Bändiger der Elemente, entgegen zu schweben, in
welchem nach der griechischen Auffassung die göttliche Vollkommenheit
verkörpert ist.
Dem Reich der antiken Mythe, Sage und Dichtung hat die
Stoffwelt sehr fern gelegen, welche die Gegenstände zu den von Janssen während
seiner ferneren Laufbahn ausgeführten zahlreichen monumentalen Malereien
hergeben mußte. Aber immer zog es seine schönheitsfreudige Künstlerseele doch
mächtig an; und zu seiner eigenen Erfrischung und Erquickung, wie um sich zu
erholen von dem Malen realistischer Szenen und Gestalten aus der Geschichte
der christlichen Jahrhunderte, wandte er sich immer wieder den Götter- und
Halbgöttergestalten des alten Hellas zu; er fand seine künstlerische Wonne
darin, bald in Bleistift- und Rötelentwürfen, bald in prächtigen
Farbenskizzen, zuweilen auch in großen durchgeführten meisterhaften
Staffeleigemälden voll Farbenglanz und –Glut die „holden Wesen aus dem
Fabelland“, die von ihnen „an der Freude leichtem Gängelband geführten seligen
Geschlechter“ und die von ihnen regierte, mit ihnen belebte schöne Welt zu
schildern.
Die nächste Aufgabe, die ihm nach der Vollendung jener
Prometheusbilder von der Staatsregierung gestellt wurde, war die Weiterführung
und der Abschluß einer, von zwei Düsseldorfer Kollegen, Kehren und Commans,
nur bis zur Hälfte gebrachten dekorativen Arbeit: eines Gemäldefrieses in der
Aula des Lehrerseminars zu Moers, der den Entwicklungsgang oder Hauptmomente
der deutschen Geschichte vom Altertum bis zur Gegenwart darstellen sollte.
Jene katholischen frommen Maler hatten es nicht über sich vermocht, auch die
Periode der Reformation und die ihr folgenden Zeiten künstlerisch zu
verherrlichen. Janssen übernahm es für sie und malte die beiden fehlenden
Stücke des Zyklus, welche die großen Hauptakte der Reformation, vom
Märtyrertode des Johann Huß bis zur Verlesung der Augsburgischen Konfession,
und die preußischen Herrscher von Johann Sigismund bis Kaiser Wilhelm und ihr
Wirken für das protestantische Bekenntnis und die Glaubensfreiheit
veranschaulichen.
Damals wurde der ehemalige Schüler der Düsseldorfer
Akademie als Professor und Lehrer der Malerei an sie berufen. Als solcher, wie
seit 1895 als Direktor der Anstalt, fand er Gelegenheit, seine eminente
Begabung für das Belehren und Leiten der Künstlerjugend, das sich an ihm – ein
ziemlich seltener Fall – so glücklich mit dem schöpferischen Talent vereinigt,
in immer wachsenden Maße zu bewähren und für die Düsseldorfer Malerschule eine
neue Blütezeit heraufzuführen. Gleichzeitig erhielt Janssen einen neuen großen
Auftrag, so recht nach seinem Herzen. Er wurde eingeladen, den
Saal des neuen
Rathauses zu Erfurt mit Gemälden aus der Geschichte dieser Stadt zu schmücken.

Die Predigt des heiligen Bonifazius
Sieben von diesen Wandgemälden schildern historische Vorgänge in großer
Auffassung und monumentalen Zügen; zwei des ganzen Zyklus sind zum Teil
allegorische Kompositionen: das erste jener sieben stellt die Bekehrung des Erfurter Gaues zum Christentum durch den heiligen Bonifatius im Jahre 719 dar,
wobei die Fällung der dem Gott Wodan geweihten Eiche durch den kühnen,
glaubensstarken Apostel als Hauptmotiv gewählt und verwertet ist. Die
folgende, von einer Thür durchbrochene Wand schmückte Janssen, die dadurch
bedingte Form der Fläche geschickt benutzend, mit den Idealgestalten der
mittelalterlichen thüringischen Schutzheiligen St. Martin und St. Elisabeth
und mit der Darstellung einer Kinderwallfahrt, wie sie in der ersten Hälfte
des XIII. Jahrhunderts in diesen Landen veranstaltet worden sind und die in
deren Bevölkerung damals herrschend gewesenen religiös- mystischen Stimmungen
charakterisieren. Die Demütigung des geächteten Heinrich des Löwen, der auf
dem Reichstag zu Erfurt 1181 dem Kaiser Friedrich für seine vor Alessandria
bewiesene Untreue Abbitte zu leisten gezwungen war, bildet den Gegenstand des
folgenden Gemäldes. – Das nächstangrenzende schildert die Durchführung des auf
dem Reichstage von 1290 unter Rudolf von Habsburg beschlossenen
„Gottesfriedens“, die Bezwingung einer jener verderblichen Raubritterburgen,
von denen aus Thüringens Volk mit so schlimmen Plagen heimgesucht worden war:
die Wegführung der gefangenen adligen Räuber durch das siegesfreudige
Kriegsvolk.

Der Kniefall Heinrich des Löwen vor Kaiser Friedrich Barbarossa, 1181
Die Verherrlichung des durch die 1392 gegründete Erfurter
Universität mächtig geförderten neuen, regen Geisteslebens Thüringens ist ein
teilweise symbolisches Bild gewidmet. Diese Universität, die Alma Mater
Erfurt, ist durch eine hoheitsvolle, in der Mitte thronende ideale
Frauengestalt verkörpert. Die von den Bildnisfiguren der berühmtesten von den
an dieser Anstalt lehrenden beziehungsweise aus ihr hervorgegangenen
Repräsentanten der vier Fakultäten umgeben wird: Martin Luther als dem der
Theologie, Gobanus Hesse, dem Philosophen, Amplonius de Berka, dem Mediciner,
Henning Goede, den Rechtsgelehrten.

Die Universität Erfurt
Im schärfsten Gegensatz zum feierlich ruhigen, statuarischen Charakter dieses Gemäldes steht der des nächstfolgenden, der
Darstellung eines wild und leidenschaftlich bewegten Vorganges aus der
Erfurter Stadtgeschichte zu Anfang des XVI. Jahrhunderts: der Erstürmung des
Ratssaales durch das empörte Stadtvolk, dem der verhaßte Obervierherr Heinrich
Kellner trotzig stolz und verachtend mit dem kecken Wort entgegentritt: „Die
Gemeinde? Die Gemeinde bin ich.“ – Ein für die Freiheit und Selbständigkeit
der Stadt Erfurt vernichtendes Ereignis aus ihrer Vergangenheit gab den
Gegenstand des folgenden Bildes: der Einzug des Kurfürsten von Mainz Philipp
von Schönborn, der sich Erfurt unterworfen hatte, im November 1664, und der
Huldigungsakt der Stadt. Die dabei entfaltete äußere, kostümiche Pracht, durch
welche das Bild der Szene eine besonders reiche Farbigkeit erhielt, hat dem
Stoff für den Maler wohl seinen Hauptreiz gegeben.

Einzug des Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn in Erfurt, 1664
Die Fläche der nächsten Wand, in die wieder eine Tür
einschneidet, schmückte Janssen mit einem geschickt in die dadurch bedingte
Raumform hineinkomponierten Bilde einer anderen freudigeren Huldigung, welche
die Bürgerschaft des preußisch gewordenen Erfurt dem die Stadt besuchendem
Königspaar Friedrich Wilhelm III. Und Luise im Jahre 1803 darbrachte. Zum
Vorwurf des letzten Bildes, das diese ganze Reihe schließt, wählte der Maler
einen realen geschichtlichen Vorgang in den Straßen Erfurts, der zugleich als
ein symbolischer wirkt, da die große Tatsache der Befreiung der Stadt und des
Vaterlandes von der französischen Fremdherrschaft in ihm zum prägnanten
Ausdruck gelangt: die Niederreißung jenes hölzernen Obelisken, der 1811 zur
Feier der Geburt des „Königs von Rom“ dem großen Napoleon errichtet worden
war, durch die Bevölkerung Erfurts beim Einmarsch der Preußen im Jahre 1814.
In diesen in Wachsfarben gemalten Wandbildern erscheint Janssens großes,
glückliches Talent zur vollster Reife entwickelt. Noch nie waren bis dahin
durch einen deutschen Künstler geschichtliche Monumentalgemälde geschaffen und
ausgeführt worden, die von Haus aus so malerisch empfunden , so farbig
gedacht, so frei von allem Theatralischen, so lebensvoll und lebenswahr,
zugleich doch so großen schlichten, echt monumentalen Stils und zu alledem
auch noch so technisch meisterhaft gemalt gewesen wären, wie diese.

Die Zerstörung der Napoleonssäule auf dem Anger, 1814
Wie
mächtig und schaffenskräftig auch Janssens Phantasie ist, es geht bei ihm mit
dem Erfinden das strenge unablässige Naturstudium immer Hand in Hand und läßt
in nie den festen soliden Boden unter den Füßen verlieren. In allem, was er
hier und was er seitdem gebildet hat, ist nichts geschwindelt, auf täuschenden
Schein, auf schmeichlerischen Effekt, berechnet und nirgends ein Abirren in
haltlose Phantasterei: „Die Natur ist aller Meister Meister.“ Das gilt auch
ihm für sein eigenes Schaffen wie bei seinem Unterrichten als oberster
Grundsatz, der ihn leitet und dem er folgt. Ihm entsprechend hat er die
vorgefundenen Formen und Methoden des künstlerischen Studiums und Unterrichts
an der Düsseldorfer Akademie, in ihren Zeichen- und Malklassen von Grund aus
umgestaltet, das lange Zeichnen nach der Antike auf ein bescheidenes Maß
eingeschränkt, das peinlich subtile Ausführen gänzlich verbannt, dafür das
beständige Arbeiten nach dem lebenden Modell in der Ruhe wie in der Bewegung
gesetzt. Übungen des künstlerischen Gedächtnisses durch die Wiedergabe
empfangener Natureindrücke aus der Erinnerung, das Entwerfen farbig gedachter
Kompositionen und die gründliche Schulung in guter malerischer Technik traten
in den Vordergrund, und bald wurden auf diesem Wege die glänzenden Früchte
gezeitigt, an welchen man den hohen Wert dieser neuen künstlerischen
Erziehungsmethoden und die überragende Bedeutung von Janssens persönlicher
Lehrbegabung erkennen mag. Sind doch aus dieser Düsseldorfer Schule, seit er
ihre Leitung übernommen hat, einige der tüchtigsten und männlichsten
künstlerischen Kräfte in der neueren deutschen Malerei hervorgegangen, während
die Akademie ehemals unter Schadow und Bendemann als die Pflanzstätte der
schwächlichen, damenhaften Talente galt.
Wenn Janssens Haupttätigkeit auch während jener Jahre in
der Ausführung der großen Wandmalereien bestand, so hatte er darum die
Staffelmalerei keineswegs vernachlässigt.
Zur Überraschung vieler, welche die umfassende Größe
seines malerischen Könnens noch nicht kannten, trat er (auf der Düsseldorfer
Kunst- und Gewerbeausstellung im Mai 1880) mit einem lebensgroßen Bildnis in
ganzer Figur, dem des alten populären Akademie-Inspektors Holthausen, hervor,
das seinem Maler widerspruchslos den uneingeschränkten Ruhm eines der
größesten Bildnismaler seiner Zeit erwarb. Nichts Lebens- und
Charaktervolleres, nichts größer Aufgefaßtes, nichts mächtiger gemaltes ist in
ihr auf diesem künstlerischen Gebiet geschaffen worden, als das Portrait des
bärtigen, alten Mannes, der, die Hand auf den Stock stützend, mit
zurückgelehntem Oberkörper und vorgestreckten Beinen und Füßen, von sicherem,
stolzem Selbstgefühl erfüllt, dem es nicht an einem Beisatz oder Nebenklang
von unfreiwilligen Humor fehlt, auf seinem Stuhl dasitzt. Andere bekannt
gewordene Bildnisse Janssens von ähnlicher Trefflichkeit sind das, von ihm im
Regierungsauftrag gemalte des Feldmarschalls General Herwarth von Bittenfeld
und das des greisen und doch so jugendrüstigen Meisters
Andreas Achenbach,
welches letztere erst 1890 im Auftrage der Stadt Düsseldorf gemalt wurde.
Sechs Jahre hinter der Ausführung dieses Meisterwerkes
zurück liegt die eines figurenreichen Ölgemäldes von ungewöhnlich großen
Dimensionen durch P. Janssen. Da gestattete er sich es einmal, in der
Darstellung der unverhüllten nackten, prächtig erblühten Schönheit, in
„Farbenfülle, reinem Rund“, losgelöst von allem Kostümzwang und allen
Rücksichten auf geschichtliche Echtheit der Erscheinung, nach Herzenslust zu
schwelgen. In einer Komposition mit überlebensgroßen Gestalten in idealer
südlicher Landschaft schilderte er die „Erziehung des Bachus“ durch
freundliche Nymphen, denen bockfüßige Faune und Satyrn dabei Gesellschaft
leisten, jene und den göttlichen Knaben durch Becken- und Flötenklang
erheiternd. Diese Nymphengestalten sind warmblütige, von gesundem, kraftvollen
Leben erfüllte, prangende Geschöpfe, die in nichts an die zahmen, kühlen,
schattenhaften Idealwesen erinnern, als welche die frühere akademische Kunst
solche mythologische Persönlichkeiten zu bilden pflegte. Aber eben so frei wie
von Kälte und Leblosigkeit, sind Janssens Nacktheiten von Lüsternheit und
sinnlichem Raffinement. Echte Kinder eines goldenen Zeitalters sehen wir vor
uns, keine entkleideten Modelle, und der Adel der Form verbindet sich mit
einem Reichtum, einem leuchtendem Glanz, einer Tiefe und Glut der Farbe, einer
Ruhe, Harmonie und Geschlossenheit der Gesamtwirkung, wie man das alles vor
Janssen auf Gemälden aus der Düsseldorfer Schule vergebens gesucht haben
würde.
Ein anderes Ölbild ähnlichen Umfangs malte er im Auftrag
eines patriotischen Bürgers, Herrn Karl Weiler, der es gelegentlich der 1888
veranstalteten Feier des sechshundertjährigen Bestehens Düsseldorfs als Stadt
bei P. Janssen bestellt und zur Ausstellung in der Kunsthalle bestimmt hatte.
Ein lokalgeschichtliches Ereignis aus dem XIII. Jahrhundert, die
Schlacht bei Worringen, nahe bei Köln, in welcher 1288 Herzog Johann von Brabant, die
Grafen von Cleve, Berg und Mark, die Kölner und Düsseldorfer Bürger mit
vereinten Kräften den Erzbischof Siegfried von Westerburg und den Grafen
Reinald von Geldern besiegten und zu Gefangenen machten, war der dem Künstler
gegebene Gegenstand – der übrigens schon 49 Jahre früher durch einen berühmten
Meister der jungen belgischen Schule der dreißiger Jahre, Ricaise de Kenzer,
in einem seiner Zeit viel bewunderten, großen Gemälde behandelt worden war.
Für Düsseldorf hat diese Schlacht dadurch eine größere Bedeutung gewonnen, daß
der Gemeinde zum Lohne für die kräftige Mitwirkung ihrer Männer die
Stadtrechte verliehen wurden. Janssen wählte als Darstellungsmotiv keine
eigentliche Gefechtsszene. Er malte den Führer der Bergischen Bauern, den
fanatischen Mönch Walter Dodde, wie er vom Sattel seines Schimmels herab durch
seine flammende Rede die ihn umgebenden Scharen begeistert und die wilde
Kampflust in ihren Seelen entfacht . Der Fanatismus des Redners und das
Auflodern der Leidenschaften in der Brust der im lauschenden, derben,
bäurischen mann34 ist in ihren Gesichtern, ihrer Haltung, ihren dabei durchaus
natürlichen und untheatralischen Bewegungen zum packenden, energischen
Ausdruck gebracht. Und dabei stehen alle diese Gestalten in der Landschaft,
allseitig von Licht und Luft umschlossen, körperhaft vor uns da, ohne das der
Maler zur Erreichung dieser Wirkung die Mittel scharfer Sonnenbeleuchtung und
somit tiefer Schatten- und glänzender Lichtmassen angewandt hätte.

Schlacht bei Worringen, 1288 von Peter Janssen, 1893
In dieselben Jahrzehnte, in welchem Janssen diese großen
Ölgemälde zu Düsseldorf ausführte, fallen auch seine umfangreichen Arbeiten in
dem zur Ruhmeshalle der preußischen Armee umgeschaffenen Berliner Zeughause.
Drei aus jener Folge von kolossalen historischen Wandgemälden in Kaseinfarben,
mit denen die Hallen des Nordflügels zu beiden Seiten des mittleren
Kuppelraumes geschmückt werden sollten, waren dem Düsseldorfer Meister
übertragen worden. Den Großen Kurfürsten in der Schlacht bei Fehrbellin hatte
das eine, das zweite das Zusammentreffen Friedrichs des Großen mit Zieten nach
der Entscheidung der Schlacht bei Torgau, das dritte die Schlacht bei
Hohenfriedberg darzustellen. Sie wurden in den Jahren 1884, 1888 und 1890
vollendet.

Schlacht bei Fehrbellin. Sieg des Kurfürsten über die Schweden 1675
Als das gelungenste will mir das erstgenannte der drei
erscheinen. Aber jedes von ihnen ist als Komposition wie in der farbigen
Stimmung und Wirkung den anderen, dort von anderen Künstlern gemalten
vaterländischen Kampf- und Siegesschilderungen um ein bedeutendes überlegen,
wenn auch nicht den herrlichen symbolischen Gemälden, mit welchen Geseschap
die Kuppel, die vier Schildbogen und die Wand-Zwickel der sich in der Mitte
jenes Flügels erhebenden Herrscherhalle geschmückt hat.
Bei aller künstlerischen Bedeutung dieser dekorativen
Wandgemälde reicht sie doch nicht an die des großen zyklischen Kunstwerks
heran, das Janssen während der ersten Hälfte der neunziger Jahre in Düsseldorf
selbst zum herrlichen Schmuck der Aula des hart am Rhein gelegenen neuen
Akademiegebäudes geschaffen hat, in welchem er seit 1895 als endlich definitiv
ernannter Direktor waltet.
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Natur |
Schönheit |
Phantasie |
Die dort von ihm ausgeführten Malereien gliedern
sich in drei Partien: die Friesgemälde zwischen Wand und Decke, die drei in
Medaillonform, welche die flache Decke zieren, und die vier, welche in die
Bogenzwickel zwischen den rundbogigen hohen, farbig gemusterten Fenstern in
der Nordwand des großen Saales hineinkomponiert sind. Jene Friesbilder
schildern in den Ausdrucksformen einer ganz originellen und pe4rsönlichen
Kunst die Hauptperioden jedes Menschenlebens von der Geburt bis zum Grabe. Die
Zwickelgemälde jene „letzten Dinge“ jenseits des Grabes nach den
Vorstellungen, welche die christgläubige poetische Phantasie sich von ihnen zu
bilden pflegt: Auferstehung, Gericht, Anbetung der Gottheit durch die
Berufenen und Auserwählten im Glanze der Wohnung der Seligen, und als viertes
Bild eine Gruppe musizierender und singender Engel, die zur Erde herabschweben,
um der Menschheit die frohe Botschaft aus Himmelshöhen zu bringen. Von den
drei Rundbildern der Decke zeigt das eine, das östlichste, die Verkörperung
der Phantasie in der Gestalt eines hüllenlosen weiblichen Idealwesens, das von
einem geflügelten Greifen hinauf zu den Sternen getragen wird, wo der aufwärts
zum himmlichen Licht Strebenden heitere Genien die Arme liebend
entgegenstrecken. In dem westlichen Rundbilde ist die Natur durch ein in
üppiger Schönheit prangendes nacktes Weib dargestellt, an dessen Brüsten die
sich herandrängenden Kinder der Menschen Nahrung trinken, umgeben von
männlichen Gestalten, weiblichen Genien und Putten, welche die Gaben der Erde
und des Wassers vor ihr ausschütten.
Dem Bunde der Phantasie mit der Natur entspringt die
Schönheit. Ihrer Darstellung ist das mittelste der drei Rundbilder gewidmet.
In reiner, keuscher Nacktheit schwebt die Göttin im Geleit der beiden Genien
der Malerei und Bildhauerkunst wie von der Decke herab den hinaufschauenden
Sterblichen entgegen, die sie „aus dem engen, dumpfen Leben in de Ideales
Reich“ zu erheben kommt. Diese drei Plafondgemälde leuchten dort oben in
wundervollem Farbenglanz. Die ebenfalls aus echt koloristischer Anschauung
heraus geschaffenen Bilder des Wandfrieses zeigen dabei die größeste Feinheit
und Mannigfaltigkeit der Farbenstimmungen, die immer der poetischen Stimmung
jedes einzelnen angepaßt sind. Das erste Bild, an der östlichen Schmalwand,
zeigt das Kind, das in freier Landschaft, in welcher Schafe weiden und der
Acker seinen von Kindern gezogenen Pflug führt, von einem beschwingten
Himmelsboten bei den ersten Schritten der kleinen Füßchen geführt wird. Die
schöne Zeit des Lebens- und Liebesfrühlings schildert das folgende Bild, das
erste der südlichen Langwand: Ein junges liebendes Paar in prächtigen
Renaissancetrachten, das, von Amouretten umgaukelt, zärtlich aneinander
geschmiegt durch die lachende, frühlingsgrüne Welt wandelt. – Die Sonne des
Lebenstages steigt höher. Das Mannesalter kommt und mit ihm der harte Kampf
um das eigene Dasein und das der Familie. Sie werden hier symbolisiert durch
den Kampf, den ein Mann der Urzeit zum Schutze von Weib und Kind, die sich
angstvoll zu bergen suchen, mit den wilden Bestien, den „grimmigen Katzen“
besteht, von welchen der eine Tiger bereits seinem Speerwurf erlegen ist. –
Und nach andere größere Kämpfe hat der Mann heldenhaft bestanden und in ihnen
glorreichen Sieg errungen. Das folgende, in seiner ganzen Farbenstimmung
besonders prächtige Bild zeigt den in glänzender Rüstung strahlenden, vom
Purpurmantel umflatternden, den Palmzweig des Friedens tragenden,
heimkehrenden Triumphator, an dessen Seite sich die Göttin des Überflusses mit
dem Füllhorn schwingt, im Streitwagen, dessen feuriges Rossegespann ein
schöner ihm voranschwebender, weiblicher Genius an den Zügeln führt, während
die Räder die niedergestreckten Feinde, die Verkörperungen ungerechter Gewalt,
der Lüge und Heuchelei zermalmen. Aus den dem Wagen nachwallenden Wolken
tauchen unbestimmt die Köpfe und Halbfiguren der Krieger – oder wollte der
Meister die Geister der Gefallenen und der Opfer des Krieges darin darstellen?
– auf, und die Flammen der Feuersbrünste lodern zum düsteren Himmel empor. –
Im nächsten Bilde (an der westlichen Schmalwand) sieht
man den Mann in höheren Jahren, umgeben von den Seinen neben der Gattin, die
den kleinsten Buben zärtlich auf dem Schoß hält, unter dem schattigen Baume
sitzen, das friedliche kurze Glück des Alters genießend; reife wogende
Getreidefelder, durch die der Schnitter geht, liegen vor seinen Blicken, und
in den Lüften gaukeln Amouretten, welche Blumen- und Fruchtgewinde tragen.
Aber hinter ihm naht schon der Schnitter Tod in Gestalt des „Knochenmannes“,
der den Alternden abzurufen kommt. Vergebens knieht ein kleiner Liebesgott vor
dem Unerbittlichen, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Zur Rechten dieser Gruppe
unter dem Baum in der Mitte, klingt das Ganze in einer Komposition von
ergreifender Schönheit aus. Um den Sarkophag des ihnen entrissenen geliebten
Familienhauptes knieen schmerzerschüttert die Seinen, Frauen und Männer. Ein
blonder Knabe hat sich weinend am Sockel niedergeworfen. Am Kopfende aber
sitzt ein geflügelter Engel, der ihnen kündet, daß der aus dem Erdendasein
Abgerufene eingegangen sei in das Reich der ewigen himmlichen Klarheit. Eine
breite Strahlengarbe fällt aus den Wolken auf die ganze Gruppe.
An der Fensterwand schließt sich daran das erste jener
vier Zwickelbilder: die Auferstehung der Toten. Dies magisch aus dem
Schattendunkel ihrer Wandflächen zwischen zwischen den Fenstern
hervorleuchtenden vier Gemälde sind ihren Gegenständen entsprechend in einem
ganz anderen Stil als jene zwar symbolischen, aber zugleich doch auch
genrehaften der Hauptabschnitte eines Menschen- und Heldenlebens gehalten; in
einem Stil, der in seiner Größe und Feierlichkeit an den der idealistischen
römischen Meister der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts anklingt.
Kaum war dies „im tiefsten sinnig-, gedanken-, kunst- und
schönheitsreiche, großartige Werk“ (1893) vollendet, das erst drei Jahre
später dem Publikum gezeigt, dem mit ihm geschmückten Raum eine so hohe
künstlerische Weihe verleiht, so trat an Janssen bereits wieder eine neue,
noch gewaltigere Aufgabe gheran, deren Lösung seitdem seine geistige Kraft und
malerische Thätigkeit vor jeder anderen in Anspruch genommen hat.
Er wurde
beauftragt, für den großen Saal im Universitätsgebäude zu Marburg sieben
Wandgemälde von kollosalem Umfang und sechs Bilder für die Lünetten an
denselben Wänden auszuführen. Die Gegenstände der ersteren sollten bedeutende,
besonders denkwürdige Vorgänge aus der Geschichte dieser alten Stadt und ihrer
Umgebungen ,
die der Lünetten der poetischen Sage von „Otto dem Schützen“
entlehnt sein. Mit frischer Begeisterung wie mit gestählter Kraft und im
Bewußtsein ihres Vollbesitzes und der reifsten Meisterschaft ist Janssen an
dies riesige Werk gegangen. Fünf von den größsten Gemälden fanden wir im
Sommer des vorigen Jahres in seiner Werkstatt im Akademiegebäude so gut wie
vollendet. Für die Lünetten hat er vorzüglich in deren beschränkten Raum
hinein komponierte Darstellungen zu jener, teilweise durch geschichtliche
Fakta begründeten, romantischen Sage von Otto dem Schützen, deren Schauplätze
im Hessenlande liegen, entworfen. Marburgs geschichtliche Vergangenheit hat
die Stoffe zu den großen Wandgemälden gegeben, in denen Janssens Kunst der
zugleich großartig monumentalen und ungekünzelt erscheinenden Komposition, der
überzeugend lebensvollen Darstellung des Vorgangs, seine Kraft der
Charakterisierung der Menschen aus den verschiedensten Zeitepochen und sein
malerisches Können sich auf ihrem höchsten Gipfel zeigen.

Kaiser Friedrich II. entläßt nach Preußen ziehende Deutsch-Ordensritter. 1236
Das erste Bild der Reihe stellt die Verabschiedung der
zur Eroberung des heidnischen Preußen ausziehenden Ritter des Deutschen Ordens
durch Kaiser Friedrich II. Im Schloß zu Marburg 1236 dar. Der in ein langes
violettes Gewand mit dem Purpurmantel darüber gekleidete Kaiser, der für einen
Mann von zweiundvierzig Jahren auffällig jugendlich erscheint, drückt dem
scheidenden Hochmeister die Rechte und legt die Linke auf dessen Schulter mit
einer Gebärde, die das feste Vertrauen in den Mut, den Verstand und die
Tüchtigkeit dieses Führers beredt ausdrückt. Er seinerseits scheint dem Kaiser
zu geloben, das er dies Vertrauen rechtfertigen werde. Seine Ritter sind
bereits im Sattel und reiten, den Kaiser mit erhobenen Händen, geschwungenen
Lanzen und Schwertern grüßend, dem Thor in den gewaltigen düsteren Mauern des
alten Marburger Ordensschlosses zu. Zwischen und hinter den Rossen, über deren
Rücken hin die weißen Ordensmäntel wallen, schreitet in gedrängten Gruppen das
Fußvolk. Jene finsteren Mauern und trotzigen Rundtürme bilden den tieffarbigen
ruhigen Hintergrund für die bewegten Gestaltenmassen in ihren meist hellen
Trachten und schimmernden Eisenhauben. Das ganze Bild trägt das Gepräge
schlichter Größe.

Die h. Elisabeth und ihr geistiger Zuchtmeister Konrad von Marburg:1230
Der Gegenstand des zweiten Bildes bot dem Meister sehr
viel reichere und mannigfaltigere Motive für die Schilderung mittelalterlicher
Zustände und des Seelenlebens mittelalterlicher Menschen. Es zeigt die heilige
Elisabeth, die all ihren Fürstenglanz, ihre Würde und Hoheit abgelegt und
demütig als Wärterin der Kranken im Spital werktätig ihrem Heiland dient, und
für ihren frommen Übereifer oder auf ihren Wunsch um der vermeintlich
gottgefälligen Kasteiung willen, von dem fanatischen Bischof Konrad von
Marburg gegeißelt wird. In der Darstellung der auf ihrem Schmerzenslager in
langer Reihe nebeneinander lagernden kranken Frauen blieb Janssen an Kühnheit
und Wahrhaftigkeit hinter keinem der alten niederländischen und deutschen wie
der modernen Realisten zurück. Aber nie verfällt er dabei in kleinliche
Ausmalung der Details. Immer ist auch in der Zeichnung dieser Gestalten der
große monumentale Stil gewahrt. Die knieende Heilige, die dem finsteren
Kleriker ergeben den zarten Rücken bietet, den er sich anschickt mit dem
Strick in seiner rechten zu geißeln, ist die Verkörperung rührender Demut und
frommer Ekstase. Der Körperschmerz scheint ihre Seele nur mit Entzücken zu
erfüllen. Ihr edles Antlitz blickt wie verklärt zum Himmel auf, und ein
seliges Lächeln gleitet darüber hin. Die sie umstehenden und die erschrocken,
mitleidig und staunend zugleich der seltsamen grausigen Szene zuschauenden
Gestalten drücken die sehr verschiedenartigen Empfindungen wahr und lebendig
aus, welche der Vorgang in ihnen hervorruft. Die von draußen in den Raum
einfallenden Sonnenstrahlen tauchen ihn und die Gruppen in ihm in lichte Töne
von schöner Klarheit auch in den Schattenwaffen, die durch den Reßler zu
warmem Helldunkel aufgelöst werden.

Sophie von Brabant läßt die Marburger Heinrich dem Kinde huldigen. 1248
Sophie von Brabant zeigt dem Volk von Marburg ihr
Söhnchen, den Erben des Markgrafentums, Ludwig das Kind (1248) – das ist die,
bereits einmal von Adolf Menzel in einem berühmten großen Karton dargestellte
Szene, welche das dritte Wandgemälde veranschaulicht. In der Gestaltenmenge,
die sich am Fuß der breiten Steinstufen drängt, auf deren Höhe die Fürstin,
das erlauchte Knäblein mit beiden Händen in die Luft haltend, steht, hat
Janssen seine Gabe und Kunst der lebendigen Vergegenwärtigung leidenschaftlich
bewegter Menschenmassen, in freudig jubilierender Stimmung aufs glänzendste
bewährt. Nie ist ein solches Volksgewühl wahrer und treffender geschildert
worden. Aber wenn dieser schreiende, fahnenschwingende, in sich wogende bunt
gemischte Haufen als einheitliche, wie von einem mächtigen Impuls getriebene
Masse erscheint, so hat der Meister doch innerhalb ihrer jeden Mann, Greis,
schlanken Jungen und kleinen Buben, jedes Weib und Mädchen als besondere
Individualität, scharf und treffend zu charakterisieren verstanden. Da ist
nicht Schablonenhaftes, in den Köpfen wie in den Gestalten und den Bewegungen.
Und wie diese, sind auch die Lokalfarben von größester Mannigfaltigkeit,
während sie doch auch wieder zu einem großen geschlossenen Gesamtton
verschmolzen sind. Einen prächtigen Gegensatz zu dieser stürmisch bewegten
Menschenflut bilden die gehelmten geharnischten Reiter, die hie und da,
ehernen Statuen gleich, daraus aufragen.

Die Schlacht bei Laufen. 1534
Noch heftiger und wilder bewegte, gestaltenreiche Gruppen
zeigt das vierte Bild eines heißen Kampfgewühls, der siegreichen Schlacht bei
Laufen, in welcher Philipp von Hessen das kaiserliche Heer unter dem
Pfalzgrafen Philipp am 13. Mai 1534 schlug. Geharnischte Lanzenreiter auf
feurig ansprengenden gepanzerten Rossen und Scharen „frommer Landsknechte“ in
buntfarbigen geschlitzten und gepufften Wämsern und Hosen, mit Spießen,
Hellebarden und zweihändigen Schwertern sieht man im wütenden Handgemenge. Die
Fechtenden und die Sterbenden machen keine Posen, wie auf so vielen deutschen
Schlachtenbildern, zumal auf solchen von mittelalterlichen Kampfszenen, sie
schlagen und stechen, sie fallen und wälzen sich auf dem zerstampften Boden,
so, daß man an den bitteren, grimmigen Ernst ihrens Thuns und ihren Leiden und
daran, daß in jenem Zeitalter die Formen des Nahgefechts so wie sie hier
dargestellt sind, gewesen seien, glauben muß.

Die Reformatoren ziehen zum Religionsgespräch ein, empfangen von Philipp dem
Großmütigen. 1529
Mit der gleichen Meisterschaft und gleich überzeugend wie
auf dem dritten Bilde ist die Volksmenge auf dem fünften geschildert, welche
sich da mit leidenschaftlicher Anteilnahme herandrängt zum gastlichen Empfange
und zur Begrüßung der zum Religionsgespräch nach Marburg gekommenen
Reformatoren Luther, Melanchton, Jonas, Osiander , Agricola, Zwingli,
Decolampadius und Butzer durch Philipp von Hessen, den berühmten Förderer der
Reformation. Aber wahrhaft bewundernswert sind auch alle diese geschichtlichen
Charaktere, die Hauptfiguren in diesem Vorgange, dargestellt. Auch hier hat es
Janssen wie auf dem Bilde der Vorstellung des kleinen Prinzen durch Sophie von
Brabant vollendet erreicht, innerhalb der großen Gesamtmasse, die als Einheit
wirkt und von einem gemeinsamen Gefühl bewegt und vorgetrieben wird, doch jede
Einzelgestalt als besonderes persönliches Wesen zu bilden. Auch der Reichtum
seiner Erfindung, seiner künstlerischen Schöpferkraft und die Schärfe seiner
Beobachtung zeigen sich hier wieder in ganzer Größe. Nicht minder auch des
Meisters Kunst und Macht, ein buntes Mosaik von lebhaften Lokalfarben und von
ruhigem tiefen Schwarz zu einer schönen geschlossenen Totalwirkung zu
verschmelzen.
Wenn Janssens Genie und Können sich in großen Zyklen
symbolischer und geschichtlicher Wandgemälde auch am eindrucksvollsten
bestätigt, und wenn deren Entwurf und Ausführung seinen ganzen künstlerischen
Menschen während seines bisherigen Lebens auch zumeist in Anspruch genommen
hat, so wußte er trotzdem doch noch immer genügende Zeit , Sinnes- und
Seelenfreiheit zu gewinnen, um zu seiner eigenen Lust und ohne eine Bestellung
abzuwarten, malerische Kunstwerke von mannigfacher Art zu schaffen. So
schmückte er Wandfriese, Bogenfelder und Decken der Haupträume seines eigenen
echt künstlerisch vornehm und traulich eingerichteten und ausgestatteten
Daheim mit sinnigen poesie- und schönheitsvollen Malereien. So gestaltete er
auf Reisen Gesehenes und Beobachtetes zu Bildern voller Leben und Charakter
und von prächtiger Farbenfrische und –Wärme. Eine Reihe hochinteressanter Öl-
und Aquarellgemälde und Farbenskizzen, zu denen das Volkstreiben in spanischen
Städten die Motive gegeben hat, danken ihre Entstehung Janssens durch die
pyrenäische Halbinsel. Wohl ist seine Phantasie erfüllt mit großen
Gegenständen, und seine Hauptaufgabe fand er immer darin, vor seinen Augen
geistige Bilder aus jener idealen Welt, „wo die reinen Formen wohnen“ und von
Menschen und Taten vergangener alter Zeiten heraufzubeschwören. Aber immer
auch ist sein Blick allen Erscheinungen der Natur, der lebendigen Wirklichkeit
aufmerksam zugewendet.
Keiner ihrer Reize ist ihm verschlossen, und was ihn in
ihr anregt, malerisch interessiert und fesselt, skizziert er mit Pinsel und
Stift. Aus der steten Berührung mit der Natur, aus dem Versenken in ihre
unerschöpfliche Herrlichkeit gewinnt er immer wieder frische Kraft und bewahrt
er sich vor jedem Erstarren in Manier.
Als Mensch wie als Künstler ist er ein ganzer Mann.
Gesund im innersten Mark, in allen Fasern seines Wesens, in seinem Denken,
Anschauen und Schaffen steht er fest und tüchtig mitten in Leben seiner Zeit.
Viele und Großes hat er geschaffen, und als Vorbild und Lehrer der
Künstlerjugend um sich herum reiche Saaten ausgestreut, denen bereits manches
herrliche Korn entsprossen ist. Aber Alles berechtigt zu der frohen Hoffnung,
daß er noch lange nicht sein letztes Wort gesprochen hat, sondern noch Viel
und Großes zu schaffen und zu wirken bestimmt ist, ihm zum Ruhm und zur Ehre
der deutschen Kunst.